Mehrdeutigkeit des Volksbegriffs


Als die Bürgerbewegung in der DDR im Jahr 1989 dem autoritären Staat mit dem Sprechchor "Wir sind das Volk" die Stirn bot, ging es um Bürgerrechte wie Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Glaubensfreiheit. In seinem Gedicht "Trotz alledem" textete Ferdinand Freiligrath im demokratischen Frühling von 1848: "Wir sind das Volk, die Menschheit sind wir." Es ging also um Freiheitsrechte des Einzelnen, die ihm als Mensch zugeschrieben und deren Respektierung von einem Staat eingefordert wurden.

Seit 2014 nutzen rechte Demonstranten den Sprechchor "Wir sind das Volk", um sich von Migranten abzugrenzen. Trotz aller Sprachakrobatik ging es dabei im Kern um die bekannte völkische Botschaft "Deutschland sind wir". Das klang auch 1933 ähnlich und führte nach der über Wahlen erreichten Machteroberung zu einer Diktatur, die Menschen- und Bürgerrechte aufhob und von ihre definierte Gegner verfolgte und ermordete.

Der Volksbegriff ist also mehrdeutig und kann sowohl demokratisch als auch völkisch ausgelegt werden. Als Reaktion darauf wurde mancherorts gefordert, den Volksbegriff als untauglich auszusortieren. Das aber würde nicht nur das Volk als Souverän eines demokratischen Staates in Frage stellen, sondern auch den Volksbegriff den  Rechten zur freien Verfügung überlassen.

Besser wäre es stattdessen, die Ideen des beim Hambacher Fests 1832 ausgerufenen europäischen Völkerfrühlings neu zu erzählen und den Menschen Mut zur Gestaltung einer offenen Gesellschaft zu machen.

Die Vortragsreihe "Die Mehrdeutigkeit des Volksbegriffes" will dazu einen Beitrag leisten. Nun ist sie als Band verfügbar.

 


Prof. Dr. Peter Brandt geht in seinem Beitrag "Wer ist eigentlich das Volk? Ein umstrittener Begriff im Wandel der Zeiten" unteschiedlichen Dimensionen des Volksbegriffs auf den Grund. Angesichts der größeren Vielfalt, der Individualisierung und der parallelen Globalisierung und Europäisierung unserer Gesellschaft wird die Brauchbarkeit des Volksbegriffs heute vielfach infrage gestellt. Aber braucht die Demokratie nicht eine Bezechnung für ihr Subjekt?

Dr. Susanne Scharnwoski untersucht in "Heimat. Zwischen Bedürfnis und Ideologie, Gefühl und Kitsch" die wechselhafte Genese des Heimatbegriffs. Sie erläutert, warum ein positiver Bezug auf Heimat nicht mit einem unbeirrbaren Festhalten an der Vergangenheit und Abwehr alles Fremden einhergehen muss, sondern durchaus das Potential für eine demokratische Kritik an Fehlentwicklungen der technisch-industriellen Moderne birgt.

Volker Gallé untersucht in "Begeisterung statt Hassjubel. Demokratische und völkische Gefühlswelten in der europäischen Moderne" Geschichte und Dimensionen der Volkssouveränität und beleuchtet die Kontroversen, die auf ihr und um sie ausgetragen wurden und werden. Er plädiert dafür, potentiell verbrannte und missbräuchliche Begriffe nicht aufzugeben, sondern mit einem demokratischen Geist zu füllen.


83 Seiten, 1. Auflage Worms 2021, 13,80 €

 

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Philipp Lukas
E-Mail: philipp.lukas@ns-dokuzentrum-rlp.de

 

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weiterlesen >> Rheinhessische Wege in den Nationalsozialismus - Band Eins

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